100% Reallabore
Mit der Leitinitiative „100% Erneuerbare-Energie-Reallabore" sollen bis 2025 fünf Reallabore aufgebaut werden und erste Validierungen und Entwicklungen von Modelllösungen vorangetrieben werden. In den etablierten Reallaboren sollen die Modelllösungen über 2025 hinaus weiterentwickelt werden, sodass sie zur Erreichung der politischen Zielsetzung, bis 2030 100% des Stroms aus erneuerbarer Energie zu gewinnen und bis 2040 dies (sektorenübergreifend) zu gewährleisten, rechtzeitig zur Verfügung stehen.
„100% Erneuerbare-Energie-Reallabor" bedeutet, dass Aspekte der 100%igen Versorgung mit erneuerbaren Energien realitätsnah abgebildet werden können. Es sollen zumindest teilweise zukünftige Situationen im Energiesystem vorweggenommen werden (z.B. hohe Dichte an Photovoltaik-Anlagen in Kombination mit Ortsspeicher, Flexibilisierungsmöglichkeiten kommunaler und regionaler Betriebe, Niedertemperatur-Fernwärmenetz in Verbindung mit Abwärme-Nutzung lokaler Betriebe, etc.).
Mit Systemlösungen, die im Zuge der Ausschreibung gesucht werden, sollen durch das Zusammenspiel von Komponenten und Systemelementen neue Funktionen (z.B. für Flexibilität und Resilienz) im Energiesystem geschaffen werden. Die entstehenden Systemeigenschaften sind daher mehr als die Eigenschaften der isolierten Elemente. Die Betrachtung soll die verschiedenen Energiesektoren einbeziehen, also etwa Strom, Wärme und energiesystemrelevante Aspekte der Mobilität. Die Systemwechselwirkungen von Elementen des Energiesystems (Erzeugungsanlagen, Netze, Speicher, Gebäude, private und gewerbliche Verbraucher:innen, Energiegemeinschaften, etc.) sollen im realen Umfeld untersucht und die Anwendbarkeit von innovativen Technologien und Lösungen erprobt werden. Durch Systemintegration soll gezeigt werden, wie 100% Erneuerbare Energie und etwaige Überproduktion im System gemanagt, wie ein möglichst hoher Anteil der erzeugten Energie regional eingesetzt und wie die Beteiligung der regionalen Akteur:innen in der Wertschöpfungskette sichergestellt werden kann. Dabei ist die Einbindung relevanter regionaler Partner und Innovationsökosysteme von zentraler Bedeutung.
Die Versorgung mit 100% Erneuerbarer Energie ist dabei als Randbedingung zu verstehen. Beispielhaft bedeutet dies, dass der regionale Beitrag zum Betrieb von Energiesystemen ohne das Zuschalten fossiler Kraftwerke herausgearbeitet werden soll. Es ist nicht primäres Ziel der Reallabore, eine 100%ige Versorgung aus regionaler Aufbringung anzustreben (Energieautarkie). Die zu entwickelnden Systeme sollen (im Sinne der oben formulierten FTI-Mission) durch Steigerung von Effizienz, Synergie, Flexibilität und Sektorkopplung den Systembetrieb und den Einsatz von 100% Erneuerbarer Energie in der Energieanwendung sowie größtmögliche regionale Wertschöpfung und aktive Beteiligung der regionalen Akteur:innen im Energiesystem ermöglichen.
Ein „Reallabor" deckt ganze Wertschöpfungsketten ab – von der Erzeugung über die Speicherung bis hin zu Transport und Nutzung von Energie. Es geht dabei nicht um die Demonstration einzelner Komponenten oder Systemelemente, sondern darum, wie das Zusammenspiel der Elemente des regionalen Energiesystems (unterschiedliche Erzeugungsanlagen und Energieformen, Quartiere und Energiegemeinschaften, Netze-Verbraucher-Speicher, etc.) auf technischer, organisatorischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Ebene funktioniert. Ziel ist, die fehlenden (Schlüssel-) Komponenten zu identifizieren und weiterzuentwickeln.
Wesentlich ist, dass die zentralen Akteur:innen des Reallabors („Bedarfsträger:innen") einen realen Bedarf (ggf. einen strategischen Nutzen) an den im Reallabor zu entwickelnden Lösungen haben und dies schlussendlich auch tatsächlich in ihrem eigenen Einflussbereich umsetzen wollen. Für Lösungsentwickler:innen soll damit ein attraktives Entwicklungsumfeld entstehen, nahe am konkreten Bedarf („schon heute im Energiesystem von morgen forschen, entwickeln und testen").
Das Reallabor besteht zur Durchführung der Realexperimente einerseits aus „Laborausstattung" (also Anlagen, Infrastrukturen, Gebäuden, etc.) und „Testobjekten" (System und Systemelemente). Andererseits gehört zum Reallabor auch der gezielte komplementäre Einsatz von Methoden der Forschung und Entwicklung (Pilotierung und Demonstration, Ko-Simulation, Digital Twin, etc.). Auch Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Ausnahmeregelungen sollen ausgelotet werden.
„Regional" bedeutet hier, dass sich zur Umsetzung des Reallabors Bedarfsträger:innen zu einem Konsortium zusammenschließen, die geografisch und im Kontext des betrachteten integrierten Energiesystems in einer Beziehung stehen, die der jeweils adressierten Aufgabenstellung angemessen ist („Reallabor-Initiative"). Einerseits sollen die für das jeweils betrachtete Lösungselement erforderlichen und relevanten Systemkomponenten (z.B. Produktions- und Gewerbebetriebe, Siedlungen, Energieerzeugungsanlagen, Netze, Speicher, etc.) vorhanden bzw. abgebildet sein sowie die zu betrachtenden Energieaustausch-Beziehungen im Sinne eines regionalen Beitrages zu Sektorkopplung und Flexibilisierung tatsächlich (zumindest in der Zukunft) im Realmaßstab möglich sein.
Andererseits soll eine kritische Größenordnung in Bezug auf die technische und organisatorische Komplexität sowie den Umfang und die Finanzierbarkeit nicht überschritten werden. Die betrachtete räumliche Ausdehnung wird je nach Aspekt des Reallabors unterschiedlich sein („Wissensplattform" könnte beispielsweise weiträumiger gedacht werden als „Sandbox").
Die Förderung der Reallabore versteht sich mithin als „Hilfe zur Selbsthilfe", um für den regionalen Energiewendeprozess die notwendigen Change-Management-Kompetenzen (systemische Innovation, Finanzierung, Wertschöpfungsketten- und Akteurseinbindung) zu mobilisieren. Über den Förderzeitraum hinaus wird erwartet, dass Reallabor-Initiativen von weiteren Förderungen (von Umwelt-Förderung im Inland über Programme des Klima- und Energiefonds bis hin zu EU-Förderprogrammen wie z.B. Horizon Europe oder Invest Europe, etc.) Gebrauch machen, wo es sinnvoll und erforderlich ist.
Im Sinne des FTI-Schwerpunktes "Energiewende" des BMK steht zur mittel- und langfristigen Umsetzung der Leitinitiative grundsätzlich das gesamte Portfolio an FTI-Förderprogrammen des BMK zur Verfügung.